Allgemein Tibet

Neue Eisenbahnlinien in Tibet: Der ferne Westen soll näher rücken

NZZ.ch, 4.12.2014, Beat U. Wieser –

Das tibetische Plateau soll enger mit Chinas boomendem Osten vernetzt werden. Projektierung und Bau neuer Eisenbahnlinien gehen in Tibet Hand in Hand. Dahinter stehen ökonomische und politische Motive.
Mit Assimilierung und Integration versucht Peking die grossen Gebiete im Westen des Reiches, die von uigurischen und tibetischen Minderheiten besiedelt sind, an das chinesische Kernland im Osten anzubinden. Die Zentralregierung investiert dafür grosse Mittel in Tibet und Xinjiang, um diese sogenannten Autonomen Regionen durch Entwicklung und Sinisierung sowie damit verbundene politische Kontrolle und Repression von Sondertouren und Abspaltungs-Ideen fernzuhalten. Im Rahmen dieser Politik werden auch die Verkehrswege grosszügig ausgebaut. Nach den Strassen kommen nun die Eisenbahnlinien.
Lhasa–Shigatse in drei Stunden
In Tibet ist eben eine neue Bahnlinie, welche die Hauptstadt Lhasa mit dem rund 250 Kilometer westlich gelegenen Shigatse verbindet, eröffnet worden. Der Zug fährt durch eine Landschaft mit wilden Schluchten entlang dem Fluss Yarlung durch 29 Tunnels und über 116 Brücken. Er halbiert die Reisezeit gegenüber der Strasse auf drei Stunden. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst und die teuerste Bahnstrecke, die in China je gebaute wurde. Vor 25 Jahren lag Shigatse noch eine Tagesreise von Lhasa entfernt. Auf der einspurigen Bahnstrecke fahren nun täglich in beide Richtungen je zwei Züge. Dieses neueste Bauwerk ist eine Verlängerung der vor acht Jahren fertiggestellten Bahnlinie von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa, die bis auf 5000 Meter hinaufklettert. Mit der neuen Strecke rückt die Hauptstadt näher an eine an Bodenschätzen reiche und für den Tourismus interessante Region heran. Der Bau einer weiteren Verlängerung von Lhasa aus nach Osten, in den an Wasserkraft-Ressourcen reichen Bezirk Nyingtri, ist auch bereits im Bau.

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Die neue Bahnlinie Lhasa-Shigatse in den Schluchten des Yarlung. (Bild: Beat U. Wieser)

Weitere Bahnlinien von Shigatse aus an die nepalesische und die indische Grenze sind geplant. Ebenso stehen lange Strecken nach Xinjiang und hinunter nach Chengdu und Kunming auf dem Programm Pekings. Überdies befinden sich inzwischen sechs Flughäfen auf dem tibetischen Plateau, zwei weitere sind geplant. Das Gewimmel auf dem Flughafen von Lhasa ist enorm und zeugt von immer intensiverer Verbindung mit dem chinesischen Flachland.

BahnnetzTibetNZZ-Grafik
Die verkehrsmässige Vernetzung des fernen Westens mit dem Osten Chinas hat ökonomische und politische Motive. Die grossen Randgebiete sollen an das Wirtschaftswachstum der Kernregionen angeschlossen werden. Der Warenaustausch soll erleichtert und gefördert, die Ausbeutung von Rohstoffen wie Kupfer, Gold und Silber vorangetrieben werden. Tibet wird sich weiter schnell verändern. Unvermeidlich führt das zum Zusammenprall der traditionellen tibetischen Nomadenkultur mit Chinas aufkeimender Industriegesellschaft. Doch der Fortschritt kommt auch den Tibetern zugute, sofern sie bereit sind, ihn anzunehmen und für ihre eigenen Interessen nutzbar zu machen.
Dialog im Interesse der Einheit
Allerdings steht da Pekings politische Agenda im Weg, die sämtliche chinesischen Entwicklungsanstrengungen für die Tibeter zu einem zweischneidigen Schwert macht. Das Regime, besessen von der Angst vor Chaos, versucht über alle ethnischen Differenzen hinweg die absolute Einheit der Nation zu erzwingen. Das führt zu politischer Unterdrückung des tibetischen Volkes und zu dessen kultureller Marginalisierung.
Eine differenziertere Sicht auf die seit Jahren vorliegende Forderung nach massvoller Autonomie im chinesischen Rahmen könnte neue Wege eröffnen. Die politischen Vertreter und Unterhändler des Dalai Lama haben – aufgefordert von der chinesischen Seite – die entsprechenden Ideen detailliert dargelegt und zu Papier gebracht. Eine valable Diskussionsgrundlage wäre gelegt. Doch wie es scheint, ist Peking an einem Dialog gar nicht interessiert. Ein solcher läge letztlich aber durchaus auch im Interesse der chinesischen Einheit.

Quelle: http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/der-ferne-westen-soll-naeher-ruecken-1.18437748

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