Allgemein China

Marx mal wieder: Chinas Kommunistische Partei verdammt die Werte des Westens – hat aber keine besseren zu bieten

Süddeutsche Zeitung, 9.2.15, Kai Strittmatter –

Chinas starker Mann Xi Jinping hat seinen Vorgängern einiges voraus, unter anderem die Gabe, Schlagwörter zu prägen, bei denen einer sich weder Hirn noch Kiefer verrenken muss, um sich etwas darunter vorstellen zu können: Der „chinesische Traum“ ist so eines, die „neue Normalität“ ein zweites. Mit letzterem Slogan beschrieb Xi die Tatsache, dass Chinas Wirtschaft in Zukunft langsamer und gesünder wachsen soll, dass die Jahre des überhitzten Vorwärtsstürmens vorbei sind. Schnell machte der Begriff Karriere auch ausserhalb des Propagandaapparates. Dabei wird der Slogan oft sarkastisch gebraucht, denn für die Liberalen und Intellektuellen im Land haben sich die Himmel verdunkelt: China ist ein weit unfreieres Land als noch 2012.

So stellte Hu Yong, einer der bekanntesten Internetexperten Chinas, letzte Woche seine „Notizen zur neuen Normalität“ online. Neuerdings normal, schrieb er, sei die „extreme Verunsicherung“ und Einschüchterung von Chinas Intellektuellen, normal sei die polizeiliche Verfolgung selbst bislang geduldeter moderater Stimmen. Sein Resümee: „Viele global denkende Chinesen fühlen sich in die Ecke gedrängt.“ Chinas neue Normalität, das ist zum Beispiel die Festnahme von fast 1000 Bürgerrechtlern allein im letzten Jahr, so viel wie in den beiden vorangegangenen Jahren zusammen. Chinas neue Normalität, das ist ein Internet, bei dem die Zensur Monat für Monat noch zulegt und bei dem die Abschottung vom Rest der Welt mittlerweile ein Paralleluniversum geschaffen hat.

Nun sollen die Schotten noch dichter gemacht werden. Im Visier des Apparates sind die Universitäten des Landes. Im Dezember schon hatte KP-Chef Xi in einer Rede eine ideologische Neuausrichtung der Hochschulen verlangt, Ende Januar nun tanzten diese an zum Appell. Ihre Campus seien die „Fronten“ im Schlachtfeld der Ideologie, schrieb Bildungsminister Yuan Guiren den Unidirektoren ins Stammbuch. Er benannte konkret den Feind, den es auszumerzen gelte: westliche Werte und westliche Lehrbücher.

Die Direktoren und Parteisekretäre der Hochschulen gelobten umgehend eine Säuberung der Lehrpläne und –säle. Statt westlicher Ideen, sagte der Minister, müsse man mit aller Kraft die Ideen des Marxismus und die von KP-Chef Xi Jinping in die Klassenzimmer und in die Köpfe“ der Studenten treiben. „Ach ja?“, fragten in China selbst gleich ein paar, die sich noch trauten: „Und aus welcher Himmelsrichtung bitteschön kamen Marx und der Sozialismus in unser Land?“ Im Parteimagazin Qiushi legte Minister Yuan nach: Junge Lehrer und Studenten seien „die Hauptziele der Unterwanderung durch feindliche ausländische Elemente“, warnte er.

Xi Jinping übernahm von seinen Vorgängern im Jahr 2012 ein von der Korruption durchwuchertes Land und eine Partei mit Anzeichen innerer Zerrüttung, dazu hatten die neuen sozialen Medien ein  Forum der öffentlichen Debatte geschaffen, in dem all das auch diskutiert, kritisiert und verspottet wurde. Es lag die totale Verunsicherung in der Luft, bis tief in die Reihen der Parte selbst. Die Welle der ideologischen Säuberung, die seit Xis Machtübernahme übers Land rollt, scheint ihm eines der zentralen Instrumente zu sein, das Heft wieder in die Hand zu bekommen.

Die Denkfabrik des Landes will künftig auf die ideologische Reinheit ihrer Forscher achten

Das mit den sozialen Medien allzu lebhaft gewordene Internet wurde im Herbst 2013 in den Würgegriff der Zensur genommen. Und bereits im April 2013 hatte das KP-Zentralkomitee an Funktionäre im ganzen Land ein Edikt geschickt, das seither unter dem Namen „Dokument Nummer 9“ bekannt ist. Das Papier ist eine Frontalattacke gegen Konzepte wie Zivilgesellschaft, universelle Werte, unabängige Medien und Vergangenheitsbewältigung, alles Ideen von denen die Kommunistische Partei sich bedroht fühlt. Im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres nahm die Kampagne an Fahrt auf. Systematisch knöpfte sich der Propaganaapparat verschiedene Gruppen und Institutionen vor.

Den Anfang machte die Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften CAss, die wichtigste Denkfabrik der Regierung, die in den letzten Jahren immer wieder auch originelle und unabhängige Denker hervorgebracht hatte. Im Juni 2014 warf ein hoher Kader der mächtigen Disziplinarkommission der CAss vor, sie habe „ideologische Probleme“, die Unterwanderung durch „ausländische Einflüsse“ sei bei ihr zu gefährlich geworden. Ein paar Tage später vermeldete die Akademie brav, von nun an werde sie ein Hauptaugenmerk auf die Überprüfung der ideologischen Reinheit ihre Forscher richten. CAss-Präsident Wang Weiguang ging im Dezember noch weiter, als er schrieb, „der Klassenkampf“ sei ewig lebendig in China – eine Rückkehr zum maoistischen Jargon, die nicht wenige alarmierte.

Der Ton wird härter – und die Bildungspolitik wird der Propaganda geopfert

Einen Monat später waren die Mitglieder der KP selbst an der Reihe: Der gesellschaftliche Wandel der letzten drei Jahrzehnte in China habe leider bei vielen Funktionären zu „Glaubensverlust und moralischem Verfall“ geführt, hiess es in einer Erklärung, die viel verriet über die Ängste der Parteiführung und die subversive Attraktivität der verteufelten Ideen. Die Kader müssten sich erneut mit Marxismus impfen, stand da, „um sich nicht zu verlieren im Streben nach westlicher Demokratie, universellen Werten und Zivilgesellschaft“. Im September waren Chinas Journalisten dran, die der Befehl ereilte, allein „marxistischen Nachrichtenwerten“ zu folgen. Und im Oktober erwischte es die Künstler, denen Xi Jinping ins Strammbuch schrieb, sie müssten von nun an erneut Werke schaffen, die „dem Volk und dem Sozialismus dienen“, eine Rede, die sich in Jargon und Stossrichtung anlehnte an jene berüchtigte Ansprache von Mao Zedong 1942, welche Chinas Künstler für Jahrzehnte knebeln sollte.

Nein, Xi Jinping ist kein zweiter Mao Zedong und eine „Wiederkehr der Kulturrevolution“, die der Pekinger Ökonom Hu Xingdou an die Wand malt, ist das natürlich nicht. Und doch hat Hu recht, wenn er in den Slogans von heute ein Echo von damals hört: „In seiner Gegnerschaft zu ausländischen Ideen und Kultur hatten wir in all den Jahrzehnten Reform und Öffnung nicht mehr einen so linksideologischen Trend.“ Dass es nun die Universitäten trifft, liegt in der Natur der Sache: Sie sind die Heimat einer Generation von Professoren und Dozenten, die so viel von der Welt gesehen hat wie kaum eine andere Gruppe in China, als Lehrer haben sie zudem grossen Einfluss auf die Klügsten und Besten der jungen Generation.

Denoch bleibt die Frage, was die KP-Führung reitet. Eigentlich ergibt eine solche Kampagne nur Sinn, wenn die Machtsicherung der KP um jeden Preis das einzige Ziel ist. Die Partei aber verwendet – gerade um ihre Macht zu legitimieren – auch viel Mühe und MIttel auf das Argument, sie allein besitze die Strategien und die intellektuellen Mittel zur rechten Regierung des Landes, an dessen Ende „die grosse Wiedergeburt des chinesischen Volkes“ stehen soll. Mit Blick auf den Rivalen USA propagiert sie eine Weltklassewirtschaft, eine Weltklasseforschung – und gerade eben wieder Weltklasse-Denkfabriken. Wie das zu erreichen sein soll, wenn sie ihren besten Leuten das Denken vorkäut und verbietet, bleibt ihr Geheimnis.

Die KP hat ein Problem: Es fehlen ihr schon seit einigen Jahrzehnten eine Ideologie und ein Wertesystem, die ihr die Nation zusammenhalten. Es zeugt auch von einer gewissen Hilflosigkeit, dass Xi Jinping nun versucht, das ideologische Vakuum, das in China seit dem Ableben des Marxismus herrscht, ausgerechnet mit seinen mumifizierten Überresten zu füllen. Anders als ideologische Säuberungen noch unter Mao Zedong (damals herrschte an Gläubigen kein Mangel) hat die Kampagne heute allein eine negative Stossrichtung: Sie definiert den Feind – den Westen, seine Werte – und hat gleichzeitig keine überzeugende Alternative im Angebot. Das Einzige, was die Partei erwarten darf, sind deshalb Gesten der Unterwerfung. Fürs Erste wird ihr das genügen, die KP ist noch immer eine starke und schlagkräftige Organisation.

Die KP argumentiert seit jeher, die sogenannten „universellen Werte“ seien nichts anders als westliche Propaganda. Ein Blick auf die Orte, in denen Chinesen ausserhalb des unmittelbaren Machtbereiches der KP leben, legt anderes nahe. Gerade letzte Woche meldet sich Taiwans neuer Politstar Ko Wen-je, der frisch gewählte Bürgermeister von Taipeh, zu Wort. Wenn China wirklich eine Annäherung an Taiwan wünsche, sagte er, dann solle es sich erst einmal auf die universellen Werte „Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte“ zubewegen. Vereinzelt sind mutige Stimmen des Widerspruchs auch in China selbst zu hören. Die Pekinger Soziologin Guo Yuhua etwa spiesste die propagandistisch kalkulierte „Trennung von gemeinsamen menschlichen Werten in westliche und chinesische“ auf. „Herr Erziehungsminister“, schreibt sie, „Ihre Aufgabe ist die Bildung, nicht die Propaganda. Und von der Bildung hängt die Zukunft des Staates und das Glück des Volkes ab.“

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