Allgemein China

Surfen im Intranet – Steinzeit der Bürokommunikation Chinas

Süddeutsche Zeitung, 12.2.15, Marcel Grzanna –

Die staatliche Zensur des Internets wird in China immer strenger. Ausländische Firmen kostet das viel Geld – sie überdenken nun ihre Investitionen

Shanghai – Bei der Europäschen Handelskammer in Peking fühlten sich die Mitarbeiter kürzlich in die Steinzeit der Bürokommunikation versetzt. Sie mussten eine Umfrage unter den Kammermitgliedern teilweise per Fax verschicken, weil der Versand der Fragebögen per E-Mail nicht einwandfrei funktionierte. Sehr ungewöhnlich in Zeiten, in denen Fernsehsender Live-Interviews via Internet führen oder digitale Datenübertragungen mehrerer Gigabyte Grösse nur wenige Minuten benötigen. In China ist das aber mittlerweile normal: E-Mail-Dienste, VPN-Tunnel für private Netzwerke oder verlässliche Breitbandverbindungen werden zunehmend von der Zensurbehörde behindert oder blockiert. Der staatliche Eingriff nimmt solche drastischen Ausmasse an, dass ausländische Firmen nachhaltige Schäden für ihre Geschäftsentwicklung in der Volksrepublik fürchten.

„90 Prozent unserer Mitglieder sind über das Internet sehr unglücklich. Viele Firmen sagen uns, dass die Zustände Auswirkungen auf ihr Investitionsverhalten haben werden“, sagt Kammerpräsident Jörg Wuttke der Süddeutschen Zeitung. An diesem Donnerstag veröffentlicht die Europäische Handelskammer in Peking die Ergebnisse einer entsprechenden Umfrage.

Die Bewegungsfreiheit im Internet besonders über die Landesgrenzen hinaus hat sich seit der Amtsübernahme von Staatspräsident Xi Jinping vor zwei Jahren deutlich verringert. Servicedienste des US-Konzerns Google von E-Mail bis Suchmaschine sind nahezu komplett abgeschottet. Kürzlich schob die Regierung auch der Verwendung von Virtual Private Networks (VPN) einen Riegel vor. Die Technologie hilft dabei, in China gesperrte Internetangebote trotzdem zugänglich zu machen. Das gilt für soziale Netwerke wie Xing oder Facebook, Videodienste wie Youtube oder Fotosharing-Plattformen wie Flickr, aber auch für englischsprachige Wikipedia-Seiten zu sensiblen Themen der chinesischen Geschichte und Publikationsdienste wie WordPress.

Der Grossteil der etwa 650 Millionen chinesischen Internetbenutzer ist zwar von der Verbannung zahlreicher VPN-Angebote oder Internetseiten nicht betroffen, weil er kein Englisch spricht oder keinen Bezug zum Ausland hat. All diejenigen aber, die einen Draht in die Welt für ihre Geschäfte, ihre Forschung oder ihre Inspiration jenseits der eigenen Kultur benötigen, laufen potenziell Gefahr, von der Zensur blockiert zu werden. „Ich fürchte, dass sich das Internet in China in ein Intranet verwandelt“, sagt Wuttke. Er mein damit ein abgeschlossenes System an Informationen und Diensten, die allesamt von der Zensurbehörde autorisiert worden sind.

Der Chef der amerikanischen Handelskammer, Amcham in Peking, James Zimmermann, glaubt, dass die Chinesen selbst einen Teil der Konsequenzen für die Verschärfung tragen werden. „Ein bedauerliches Ergebnis der exzessiven Kontrolle über E-Mail- und Internetverkehr ist die Abkühlung der seriösen Gewerbetätigkeiten, und das kann nicht im besten Interesse der Chinesen liegen“, sagte er der New York Times. Viele Firmen klagen intern, dass sie die staatliche Beeinträchtigung ihrer Arbeitsabläufe viel Geld kostet.

Schnelle Informationssuche ist häufig nicht mehr möglich. Zu grosse Datenpaktete können mit ausländischen Providern nicht einmal innerhalb Chinas per E-Mail verschickt werden. Stattdessen teilen die Absender die Dateien auf. Firmen haben auch wieder damit begonnen, USB-Sticks oder Festplatten per Kurier durch das Land zu schicken.

Auffällig ist auch der langsame Seitenaufbau über ausländische Server. Die Firmen bekommen durch die massive Entschleunigung der Datenströme ernste Probleme. Oft sind wichtige Foren oder Archive auf ausländischen Servern geparkt. Wer aus der Volksrepublik Zugriff darauf haben möchte ist häufig auf einen VPN-Tunnel angewiesen. Die Beschwerden von Akademikern und Wissenschaftlern haben zugenommen, weil ihnen wichtige Instrumente für ihre Arbeit genommen wurden. Die wissenschaftliche Suchmaschine Google-Scholar etwa ist nur über die stark beschnittene VPN-Nutzung erreichbar.

Die Kommunistische Partei will zwar eine kreative und innovative Gesellschaft formen, die eine führende wissenschaftliche und industriepolitische Rolle in der Welt einnehmen soll. Für die Genossen steht jedoch die Sicherung des Machtmonopols an erster Stelle.

 

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